Ein Wochenende auf Abwegen – Umgang mit Komplexmenschen: August 2019

Dieser Text entsteht, wie vieles andere in meinem Leben, aus dem Bauch heraus. Ich möchte ein Beispiel aus der „jungen offenen Beziehung“  zwischen mir und Isabell geben. Es geht um Lena, eine Bekanntschaft von mir über die App. Lena und ich haben uns gleich gut verstanden. Lena wohnt irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern und lebt dort mit ihrem Mann in einer offenen Ehe. Experimentierfreudig waren die beiden wohl zusammen schon immer, aber das sie auch beide alleine unterwegs sind, das gibt es bei den beiden auch noch nicht so lange. Wobei man sagen muss, das Lena sogar eher „Poly“ ist, weil sie schon recht nah an ihre Affären heranrückt. Dies wird mir allerdings erst später klar. Der Grund ist, dass ihr Mann häufig beruflich unterwegs ist und sie dadurch häufiger alleine zu Hause ist. Ich erfahre auch, dass Lena´s Mann nicht so einfühlsam ist, wie sie es vielleicht manchmal brauchen würde. Das ist auch der Grund, dass sie gerne von ihrer Affäre sehr viel Nähe einfordert. Nun will ich aber erstmal nicht weiter auf Lena´s Situation eingehen. Als Lena und ich uns in dieser App über den Weg laufen, schreiben wir viel. Nicht lange und wir telefonieren und reden gleich von Anfang an sehr offen miteinander. Soweit so gut. Ich erzähle auch Isabell von ihr. Irgendwann äußere ich auch meinen Wunsch, Lena mal zu treffen. Ich tue dies aber gerne mal so halbherzig. So nebenbei im Nebensatz, so hat mir Isabell das mal zurückgespiegelt. Und sie hat Recht! Was eine solche Kommunikation angeht, bin ich teilweise noch nicht so weit. Es hat wieder ganz viel damit zu tun, was man will und wie man es zu jemandem kommuniziert. Ich bin sehr häufig noch in diesem Modus des monogamen „Beziehungskonstruktes“ verhaftet. Das bedeutet, dass ich sehr defensiv und spärlich über das rede, was mich da gerade beschäftigt, was gerade meine Bedürfnisse sind. Lena und ich kommunizieren lange über Textnachrichten oder Telefonate und ich binde Isabell schon mit ein. Im Nachhinein würde ich sagen, spiele ich gerne Dinge etwas herunter oder sage sogar, dass mein Anliegen mir selbst eigentlich gar nicht so wichtig ist. Dadurch bekommt Isabell aber  ein verzerrtes Bild von mir geliefert. Und wenn ich dann plötzlich mit einem Termin um die Ecke komme, an dem Lena und ich uns sehen wollen, dann verstehe ich heute sehr gut, warum Isabell das komisch fand. Hatte ich nicht gesagt, dass mir das mit einem Treffen erstmal gar nicht so wichtig ist? Und jetzt kommt dieser Termin. Kurz vor dem Termin äußert Isabell dann Bedenken. Gerade auch weil ich plane über Nacht zu bleiben. In diesem Moment hatte ich zwei Möglichkeiten. Fahren oder bleiben. In diesem Moment denke ich an mich, bin egoistisch und fahre. Obwohl Isabell sehr deutlich andeutet, dass sie so ihre Probleme damit hat und bei ihr und den folgenden Begriff hat Isabell mit in unsere Beziehung eingebracht, „Reflexgefühle“ hat. Was sind Reflexgefühle? Man bekommt dann das Gefühl „na dann erst recht“ und „was der kann, kann ich auch“!
Es passierte also. Ich fuhr zu Lena und vögelte mit ihr den Abend, die Nacht und auch am Nachmittag des darauf folgenden Tages. Wir haben also viel Spaß miteinander. Ich ignorierte alles und zog es egoistisch durch. Mir war einfach nach dieser Frau. Ich wollte sie haben und ich bekam sie! Es machte mir riesig Spaß mit ihr alle möglichen Stellungen auszuprobieren und ich schaltete mein Hirn einfach mal aus! Nach dieser Nacht war ich mit Lena bei ihr zu Hause und wir trieben es sogar in ihrem Ehebett. Ich glaube, dass ich das tatsächlich erst nach diesem Treffen richtig realisiert habe. Ich fand es im Nachhinein zwar auch heiß, es war mir aber auch etwas unangenehm. Isabell überlegte nun für sich und hatte auch zwei Möglichkeiten. Entweder reagieren und auch losziehen oder es aushalten und sich auf Ihre Sachen zu konzentrieren. Die Reflexgefühle waren aber stärker und so ging Isabell aus und landet mit einem Pärchen und einem Typen im Bett für einen Vierer. Isabell vögelt mit allen und hat ihren Spaß! Es hat mich sicherlich ein wenig getroffen, so wie ich dich getroffen habe. Ich habe mich auch etwas erschrocken, wie einfach es für dich war auf irgendeine Party zu gehen und tatsächlich gleich mit drei Leuten eine Orgie zu haben. Natürlich hat mich der Gedanke daran auch irgendwie heiß gemacht.

Ich habe dieses Beispiel herausgesucht, weil nach meinem Abenteuer mit Lena und Isabells Reaktion auf meine Nacht in der Fremde, eine sehr interessante Diskussion startete.

Ich erzähle das jetzt aus meiner Wahrnehmung heraus. Mit Du ist nun Isabell gemeint.

 Du wirst Dich aber mit diesem Thema auch in Deinen Texten auseinandersetzen. Da bin ich mir sicher. Nach Deinem Abenteuer fingst Du an über alles nachzudenken und fühltest dich plötzlich leer. Du warst durch meine Handlung verunsichert. Du sagtest mir, dass du dir bei mir irgendwie nicht sicher bist, wie ich zu dir stehe. Du hast mir gesagt, dass das was ich sage und wie ich mich dann letztlich verhalte, nicht zusammenpasst. Und das löst Unsicherheit aus. Das muss ich so akzeptieren, denn nach diesen Ereignissen, kann ich das, was du mir da gesagt hast, nachvollziehen. Ich denke, dass ich da einfach noch nicht offen genug war. Meine zurückhaltende Kommunikation löste wahrscheinlich all das aus. Alternatives Szenario wäre gewesen, dass ich dir vollkommen offen gesagt hätte, dass ich Lena spannend finde und sie deshalb sehen möchte und wenn es sich ergibt, auch mit ihr schlafen möchte. Lena hat mich tatsächlich gereizt, aber es waren jetzt nicht solche Gefühle, dass ich sie als alternative zu dir wahrgenommen hätte. Wenn ich hier gleich sehr offen damit umgegangen wäre, hätte ich dich zu dieser Zeit wohl nicht so durcheinander gebracht und du hättest dich auch besser auf diese Situation einstellen können. Zusätzlich kam noch das Thema Übernachtung hinzu, worüber wir im Vorwege noch gar nicht wirklich gesprochen hatten. Da setzte ich für unsere offene Beziehung neue Maßstäbe. Auch hier habe ich nicht sonderlich gut darüber nachgedacht. Deine Reaktionen auf all das sind sehr interessant. Und gleichzeitig eine enorme Herausforderung für mich. Du bist vielleicht sauer auf mich, aber du drückst das mir gegenüber nicht aus, weil du weißt, dass du ggf. auch so gehandelt hättest. Aber du lässt mich deine Verunsicherung spüren und wirst kühler. Es kommt die Frage auf, ob wir uns einander eigentlich reichen! Ich glaube ja, dass das Gefühl von Verlustangst in einem solchen Moment dann von dem einen auf den anderen übergeht. Soll heißen, wenn du vor und während meinem Treffen eine gewisse Verlustangst empfunden hast, dann setzte es bei mir mit deinem kühler werden ein. Nach diesem Wochenende folgt eine Phase, in der uns viel Leichtigkeit verloren geht. Wir reden viel über dieses Wochenende und über alles was passiert ist. Ich denke auch viel über mich nach. Ich begreife, dass ich mir das Leben einfacher hätte machen können. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht sind wir für solche Abenteuer noch nicht weit genug. Wir sprechen darüber, ob uns Regeln helfen können. Ich habe die Zeit danach oft als diese „gebrauchten Woche“ empfunden. Klar, wenn einem die Leichtigkeit abhandenkommt, dann gehen manchmal auch einfache Dinge nicht mehr leicht von der Hand. Ich habe auch eine Phase, wo ich das alles bereue und ich mir gewünscht hätte, dass ich niemals zu Lena gefahren wäre. Ich glaube ja diese Phasen gehören mit zum Prozess der Selbstreflektion. Man lernt mehr über sich kennen! Im Nachhinein werde ich demütig und bin dankbar für diese Erfahrung. Und ich bin sehr dankbar, wie du darauf reagiert hast. Es waren vielleicht schwierige Wochen, aber sie haben uns auch in unserer Beziehung ein Stück vorangebracht. Ich muss über mich selber feststellen, dass ich solche Abenteuer suche, weil ich es leider manchmal brauche, dass ich auch mal von einer anderen Person begehrt werde. Ich merke auch, dass mein Selbstbewusstsein in der Vergangenheit sehr gelitten hat. Wenn dann auch noch eine Art Überforderungszustand dazu kommt, bin ich eher nach Abenteuern aus. Wenn ich das jetzt so schreibe, fühlt sich das nicht gut an! Ich merke, dass ich mich wahrscheinlich noch immer in diesem Prozess befinde, komplett aus meiner Vergangenheit auszubrechen. Ich denke auch sehr viel darüber nach, was ich von deiner Reaktion halten soll. Denn auch wenn meine Handlung alles ausgelöst hat, bleibt dein Abenteuer ja auch noch so bestehen. Bin ich dafür bereit, dass du einfach so mit drei wildfremden Menschen einfach einen „Vierer schiebst“? Ich denke bis heute noch darüber nach. Ich merke das, weil ich bisher auch nicht so recht offen dafür war, mit dir zusammen z. B. zu einer Herrenüberschussparty zu gehen, die dich schon auch interessieren denke ich!
Letztlich haben wir in dieser Zeit deutlich an Schwung verloren. Das viele Gerede (nicht negativ gemeint!) hinterließ Spuren und ich fühlte mich in dieser Phase einfach nicht mehr so frei.

Und jetzt komme ich doch noch mal auf Lena zurück. In all unseren Unterhaltungen und Diskussionen zu diesem Thema, kommen zwei Begrifflichkeiten auf. Zum einen der „Momentmensch“ und zum anderen der „Komplexmensch“. Du hattest bei Lena sehr schnell ausgemacht, dass sie zu den Komplexmenschen gehört. Natürlich wäre eine solche Einschätzung aus der Ferne schwierig, aber noch als ich bei Lena war, machte sie den Vorschlag, dass ja auch ihr mal miteinander telefonieren könntet. Auch du standst dieser Idee recht offen gegenüber. So geschah es dann wenig später auch und du konntest dir dein eigenes Bild von Lena machen. Und nach allem was du von ihr hörtest, hast du mich darum gebeten, bei Lena einen Gang zurückzuschalten. Lena wie schon oben kurz beschrieben ist so ein Typ, die gerne nah an ihren Nebenpartnern dran ist. Ich schreibe hier bewusst Nebenpartner, weil sie die offene Beziehung zu ihrem Mann noch ein wenig anders versteht. Und das Verständnis geht mehr in Richtung Polymerie. Komplexmenschen wollen aus unserer Sicht viel tiefergehend am Leben ihrer Affäre/Nebenpartner teilhaben. Sich auch emotional enger verbunden fühlen. Hier haben wir für uns entschieden, dass wir definitiv derzeit nicht dafür bereit sind. Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir uns genügen. Und klar wollen wir mal die Freiheit haben, Menschen, die wir interessant finden, kennenzulernen. Wenn die Faszination groß genug ist, wollen wir auch mit ihnen schlafen können, aber auf der Emotionalen Ebene wollen wir uns eine Exklusivität bewahren. Aber diese Faszination zu einem Menschen mit dem man sich einfach locker trifft, mit dem man auch tiefgründige Gespräche führen kann und mit dem man, wenn man sich sympathisch findet, dann Sex hat, ist etwas, was wir uns beide zugestehen. Momentmenschen werden diese von dir „liebevoll“ getauft. Ich mag diese Bezeichnungen. Sie sind treffend! Momentmenschen sind solche, mit denen man schöne und auch intensive Momente sammelt, die aber nicht weiter darauf aus sind, an einem Besitzansprüche zu erheben. Ich glaube persönlich, dass wir hier immer mal wieder darüber diskutieren werden, weil Grenzen hier fließend sein können. Da wird stets eine ehrliche und offene Kommunikation zwischen uns entscheidend sein.

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