Ich mag es über Ereignisse mit einem zeitlichen Abstand zu schreiben. Aufgewühlte Gefühle haben sich wie Schlick in der Ostsee gelegt und Erinnerung an schöne Momente werden wieder aufgefrischt.
Dieser Text stammt aus der Zeit, kurz bevor in unserer Großstadt die Ausgangssperre verhängt wurde. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen haben uns alle fest im Griff. Du und ich sind achtsam, haben unsere Kontakte auf ein Minimum heruntergefahren, doch gänzlich unter uns bleiben wir nicht. Dating reduzieren wir auf Telefonate und Freiluftgespräche mit viel Abstand und Bewegung. Körperlichen Kontakt haben wir jeweils mit einem festen Nebenpartner. [1]Ob wir außerhalb von Corona wesentlich mehr „Nebenpartner“ hätten, sei u.a. aufgrund unseres katastrophalen Umgangs mit „Schwester Zeit“ ggf. zu bezweifeln 😉
An diesem Wochenende sind wir zufällig zum ersten Mal hintereinander verabredet. Ich treffe Torben am Freitag und du bist am nächsten Tag verabredet. Es handelt sich um eine Frau, die du bereits durch Internet und Telefon kennst, aber bislang nur einmal live neutral getroffen hast. Wie wird es heute für dich sein…und morgen dann für mich?
Wenn man in einer offenen Beziehung ist, ist dies quasi ein Freifahrtschein zum Vögeln. Das Verhältnis mit dem Hauptpartner ist selten wirklich gesund und ausgeglichen. Man trifft sich regelmäßig mit den unterschiedlichsten Personen und betreibt munter und ausschließlich die verschiedensten Kopulationsformen. Reden wird überbewertet und Unternehmungen jenseits von Sex als langweilig abgestempelt.
Diese Beschreibung ist ein wenig überspitzt, aber trotzdem nicht weit ab von dem Bild, welches nicht wenige Menschen von einer offenen Beziehung in ihrem Kopf haben. Torbens beste Freunde – ein verheiratetes Pärchen mit Kind, Vorgarten und Carport – interessieren sich sehr für die neue Frau in Torbens Leben. Sie merken, dass ich ihm irgendwie guttue und fragen neugierig welche neuen „Tricks“ ich ihm diesmal auf meiner Liegewiese beigebracht hätte. [2]ganz ganz herzliche, Grüße an dieser Stelle – mit einem lieb gemeinten Augenzwinkern
Heute ist mir nach einem ganz besonderen Trick bzw. Geheimtipp, nämlich nach einem Croque mit Camembert, Preiselbeeren und Spezialsoße. Als Torben bei mir ankommt, küsse ich ihn kurz und schiebe ihn danach wieder aus der Haustür in Richtung meines Autos. Nach ein paar Minuten Fahrzeit flanieren wir durch die bunten Straßen des Hamburger Schanzenviertels. Es ist das alternative Fleckchen der Hafenstadt mit beschmierten Hauswänden, alternativ z.T. sehr bunt gekleideten Besuchern, sowie jeder Menge Charme. Viel kann / darf/ soll / sollte man in dieser aktuellen Zeit nicht unternehmen. Dennoch geben die bunten, beleuchteten Häuser eine Spur Nachtleben, wenn auch nicht viele Personen auf den Straßen sind. In generell ruhigeren Viertel der Großstadt werden die Bordsteine teilweise gar nicht mehr heruntergeklappt.
Ich genieße die Momente mit Torben – jeden einzelnen. Ich treffe mich nicht ausschließlich um hemmungslosen Sex mit ihm zu haben.[3]obwohl dieser natürlich unbestritten dazu gehört. Wenn wir uns sehen reden wir viel – über die Welt, ihre Menschen und über unser jeweils eigenes kleines Universum. Torben und ich leben auf ganz verschiedenen Sternen. Wenn wir uns sehen ist es wie ein Kurzurlaub fernab von der eigenen Welt.. Küsse auf der Milchstraße
Seit nun fast einem Jahr sehen wir uns regelmäßig. Mal liegen drei Wochen zwischen unseren Treffen. Mal sehen wir uns erst nach sechs Wochen. Doch die Emotionen und die Freude aufeinander verblasst nicht, auch wenn wir dazwischen nur selten schreiben und telefonieren. In dieser Sache ergänzen wir uns ganz gut. Zwischen den Treffen lebt jeder in seiner eigenen Welt und man zwinkert sich ab und an zwischen den Sternen gegenseitig zu. Begegnen wir uns aber bewusst, so verlieben wir uns in diesen Moment der nur uns gehört. Wie fast alles was man tut kann auch das Lieben von Mensch zu Mensch, von Beziehung zu Beziehung, von Paar zu Paar, von Freundschaft zu Freundschaft, von Verbindung zu Verbindung verschiedene Formen annehmen. Dies ist halt unsere.
In dieser Sache sind du, Tom und ich uns ähnlich und einig. Wir würden uns nicht als „klassisch polyamor“ bezeichnen – wenn es das überhaupt gibt. [4]Zu den verschiedenen Bezeichnungen, Definitionen und Labels würde ich auch gerne einen Text schreiben Statt „Nebenpartner“ die gleiche zeitliche Aufmerksamkeit zu geben, geben du und ich uns gegenseitig Priorität. Dennoch sind Gefühle anderen gegenüber erlaubt und erwünscht. Treffen wir uns mit andern so lieben wir dann auch in diesem Moment mit Haut und Haar.
Über dieses Thema bzw. Beziehungsweisen im Allgemeinen reden Torben und ich häufig. Für Torben ist das Thema Beziehung ein Mysterium welchem er sich bisher selber noch nicht gestellt hat, doch er beobachtet seine Umgebung bewusst. Seine Freunde leben ausschließlich in klassisch hetero-normativen Konstellationen. Um zu verstehen wie Menschen leben und lieben vergleichen wir manchmal das Leben der anderen mit dem von Tom und mir, allerdings wertungsfrei. Auch wenn man andere beobachtet und für sich selbst ein anderes Vorgehen ableitet, so sollte man doch niemanden bewerten oder verurteilen. Auch die Liebe ist irgendwie Geschmackssache und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.
Gerade sitzen er und ich in einer Seitenstraße auf einem Treppeneingang und lassen uns die Croques aus meinem Lieblingsladen schmecken. Die Stimmung ist ausgelassen. Wir philosophieren, flirten und genießen einfach die Leichtigkeit in einer Zeit die eigentlich gar nicht so leicht ist. Immer wieder läuft eine Person mit Mundschutz hektisch an uns vorbei. Doch wir lassen uns nicht beirren hier auf unserer Treppenstufe.
„Was ist eigentlich Liebe?“ hatte mich Torben vor einigen Wochen gefragt. Gerade reden wir über die Antwort, die ich ihm damals gegeben hatte. Dabei bin ich ungemein stolz auf Torben. Anders als viele Menschen, die dieses Kribbeln im Bauch verspüren, verfällt Torben nicht in einen Rausch, sein Leben komplett verändern zu wollen. Statt sämtliche Zelte abzureißen und sich die Haare für seine Herzdame, grün, blond oder schwarz zu färben, hinterfragt Torben was da gerade in ihm vorgeht. Die drei magischen Worte schweben dabei ganz leicht in der Mitte, anstatt sich wie eine Kette um den Hals zu legen und ggf. Luft und Raum zu nehmen.
Bei dir, Tom war es anders. Du lerntest im Rahmen unserer offenen Beziehung Frauen kennen, die sich in dich verliebten und dabei automatisch Forderungen und Erwartungen ihrerseits aufkommen ließen. Sowohl dich als auch mit überforderte dies und nahm uns – die wir doch noch am Anfang des ganzen „offenen Beziehungs-Dingsbums“ standen den notwendigen Freiraum. Du fühltest dich in eine Ecke gedrängt und reduziertest den Kontakt von dir aus auf ein Minimum. [5]Man könnte hierbei ggf. auf den Gedanken kommen, dies tätest du auch für mich. Allerdings ist uns wichtig das jeder seine Entscheidung aus freien Stücken trifft. Das wir in einigen Dingen … Continue reading
„Für mich hat liebe ganz viele Facetten“, erkläre ich Torben. „Jeder hat seine ganz eigene Art und Definition zu lieben“ [6]Ich gebe zu, ich konnte mir den genauen Dialog nicht merken, obgleich ich hier und da auch Fan von wörtlicher Rede in Blogtexten bin. Ich weiß nur noch, dass ich unheimlich gerne in seine braunen, … Continue reading Ich erzähle ihm, dass Liebe sich für mich aufbaut und verschieden stark ausgeprägt sein kann. Wenn ich wirklich tief liebe, würde ich ohne viel Nachzudenken mein Leben ändern z.B. in die Nähe meiner Eltern ziehen, wenn diese meine Hilfe brauchen. Auch gute Freunde und frische Beziehungen liebe ich auf meine eigene Weise, dennoch irgendwie anders – weniger porentief, trotzdem aber mit einem gewissen Herzblut. Torben lächelt mir zu und nimmt meine Hand. Wir genießen die Nachtluft und die Intimität hier auf unserer kleinen Treppe.
Torbens Umgebung liebt hauptsächlich monogam. Die Lebensweisen sind klassisch. Dies ist bei vielen Paaren der Fall, besonders wenn sie schon eine Weile zusammen und sogar verheiratet sind und Kinder haben. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Jeder soll bitte bitte so leben wie er /sie es am liebsten mag. Ich habe häufiger nur das Gefühl, dass die Lebens- Liebens-, Arbeits- und Tagesgestaltung so aufgebaut ist, wie man es eben von der großen Masse kennt. Und ob gleich man nach Feierabend eigentlich kein Fernsehen schauen will, setzt man sich doch resigniert auf die Couch, lässt sich berieseln und lebt mit 30 Jahren das gleiche Leben wie später mit 60.
Eigene Ideen und Wege sind nicht so einfach zu finden, durchzusetzen und zu gehen, wenn um einem herum es alle ähnlich machen, aber doch ganz anders als man selber. Du, Tom und ich sehen selbst, wie sehr wir immer wieder dafür kämpfen müssen, nicht kopfüber in den Alltagsstrudel zu geraten. Und auch zu unserem Vorgehen in diesem Beziehungskonstrukt müssen wir uns immer wieder offen unterhalten. Aktuell fühlen wir beide mit Abstufungen, doch welche Bedürfnisse haben wir in 5, 10 oder 15 Jahren? Es ist wichtig, dass jeder zu jeder Zeit äußern kann, was er/sie gerade braucht und dieses Bedürfnis auch mal eine Weile im Raum stehen kann, wenn sich der andere gerade nicht dazu bereit fühlt oder aus anderen Gründen nicht darauf eingehen kann.
Dies trifft auch für unsere Nebenpartner zu. Torben und ich treffen uns alle drei / vier Wochen. Dies rührt aus dem allgemeinen Zeitproblem, als auch aus meiner Vorgehensweise, mich nicht zu häufig mit ein und derselben Person zu treffen. Ich könnte mich irgendwann verlieren. Dennoch soll Torben seine Empfindungen, Begehren und Bedürfnisse auf keinen Fall runterschlucken. Er soll zu jeder Zeit das Gefühl haben, offen über das was ihn bewegt reden zu können, auch wenn ich vielleicht nicht auf alles eingehen kann. Dann müssen wir schauen wie wir weiter vorgehen – Hauptsache wir halten es leicht. Als ich ihm das so sage, ist er ein wenig überrascht aber erfreut. Ich denke, er gibt sich selber weniger Bedeutung als er wirklich für mich hat.
Genau wie ich in diesem Text abschweife, so schweifen auch Torben und ich auf unser kleinen Treppe ab. Mittlerweile ist es ziemlich frisch geworden. Wir schmiegen uns aneinenander und machen uns dann auf den Weg zu mir.
Wie beschreibt man den Sex zwischen zwei Menschen wenn man nicht zu sehr ins Detail und doch trotzdem Leidenschaft vermitteln will? Warum haben Menschen überhaupt Sex? Für mich ist Sex eine Form von Begeisterung. Ich möchte nahe kommen, riechen, schmecken, fühlen, beobachten. Dabei geht es mir weniger um die Praktiken und Spielereien, als um das Verschmelzen, Fallen lassen und in erregte Augen zu sehen. Zu sehen wie diese sich schließen, der Mund sich leicht öffnet, der Kopf nach hinten fällt und sich der gesamte Körper aufbäumt, ist ein Anblick der mich süchtig macht. Es ist wie ein Kunstwerk, dass nur ich in diesem Augenblick bestaunen kann.
Das Haus in dem du, Tom und ich wohnen ist nicht wahnsinnig hellhörig. Wenn ich allerdings nicht mehr an mich halte, so gehen meine Laute auch durch die Wand. Ich hatte mir vorgenommen Rücksicht zu nehmen. Du, Tom batst mich stattdessen darum, mich nicht selbst einzuschränken, zu fühlen wonach mir ist und das auch laut rauszuschreien. Und genau das tue ich gerade. Mir fällt in diesem Moment auch gar nicht ein überhaupt irgendwas zurück zu halten. Ich spüre einfach. Torben genießt es sichtlich. Wir vergessen dabei Zeit und Raum. Zwischenzeitlich liegen wir uns in den Armen, schlummern ein wenig ein und fangen dann aber doch wieder an uns zu berühren. Zur frühen Morgenstund, als die Bäcker in unserer Umgebung ihren Dienst antreten, macht sich Torben auf den Weg nach hause.
Am nächsten Morgen ist mir total nach dir, Tom. Wie eigentlich immer wenn wir den Tag/Abend mit jemand anderes verbracht haben, nutzen wir die Zeit danach soweit es möglich ist für uns. Oft ist diese besonders intensiv und entfacht das bekannte Feuer, welches nicht selten im Alltagswusel zum kleinen Flämmchen wird. Doch diesmal haben wir kaum Zeit dafür. Nach einem kurzen Frühstück machst du dich auf zu deinem Date in die Natur. Die Sonne scheint und ich freue mich, dass auch du die Möglichkeit hast mal aus deiner Welt zu entfliehen. Es macht mich zudem ziemlich an zu wissen, dass du jetzt gerade die selbe Leidenschaft empfindest wie ich gestern. Ich sehe euch vor meinem inneren Auge und berühre mich dabei selbst.
Doch dann wird mir bewusst, dass wir mit Dates viel mehr freie Zeit verbringen können, als es dir und mir mit Kind, Job und Haushalt möglich ist. Entweder haben wir Zeit zwischen den Stühlen oder Abends mit schlummrigen Blick und kaputt vom Tag. Ich versuche den Gedanken zu verdrängen, doch als du Freude strahlend spät Abends im Türrahmen erscheinst, verfalle ich in einem Bandsalatmonolog.
Kann es sein, dass wir uns durch den Sex und die bewusste Zeit mit anderen doch verlieren? Verbringen du und ich zu viel Alltagszeit und zu wenig bewusste miteinander? Sollten du und ich etwas ändern, d.h. aus den zwei Wohnungen in denen wir nebeneinander leben auch wirklich zwei Wohnungen machen, in denen wir nicht wie ein Pärchen sondern wie Nachbarn hausen? Ist diese Form der Beziehung vielleicht einfach zu schön um wahr zu sein und wir sollten doch den üblichen Weg wie alle anderen gehen? Der monogame Weg hat sich schließlich lange bewährt.. wenn man von der aktuellen Trennung./ Scheidungsquote absieht.
Wir diskutieren oder streiten in diesem Augenblick nicht. Ich spreche lediglich meine Gedanken laut aus. Ich überlege, wäge ab und verunsichere dich dadurch zunehmend. Das Strahlen und die Zufriedenheit, mit denen du den Raum betreten hast, sind aus deinem Gesicht gewichen. Als mir bewusst wird, dass ich dir deine schönen Momente gerade rückwirkend nehme, tut es mir auch schon wieder leid. Ich versuche zurück zu rudern, sehe ein, dass kein Weg wirklich leicht ist und Monogamie für dich und mich gar nicht in Frage kommt. Beziehungen sind Arbeit, egal wie man es dreht. Und gerade drehe ich mich im Kreis und du bekommst einen Drehwurm.
Dennoch signalisierst du mir, dass es gut ist anzusprechen, sobald einem etwas auf der Seele liegt, wie in diesem Fall. Vielleicht hätte ich erstmal leise drüber nachdenken und dir deine Zeit zur Reflektion des Erlebten geben sollen, denke ich so bei mir. Doch aus Fehlern lernt man bekanntlich und das Jahr ist ja noch lang.
Schön, dass du bist wie du bist und ich so sein kann wie ich bin!!
Musik Hozier – Nobody, Would that I, Movement, to noise
References
↑1 | Ob wir außerhalb von Corona wesentlich mehr „Nebenpartner“ hätten, sei u.a. aufgrund unseres katastrophalen Umgangs mit „Schwester Zeit“ ggf. zu bezweifeln 😉 |
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↑2 | ganz ganz herzliche, Grüße an dieser Stelle – mit einem lieb gemeinten Augenzwinkern |
↑3 | obwohl dieser natürlich unbestritten dazu gehört |
↑4 | Zu den verschiedenen Bezeichnungen, Definitionen und Labels würde ich auch gerne einen Text schreiben |
↑5 | Man könnte hierbei ggf. auf den Gedanken kommen, dies tätest du auch für mich. Allerdings ist uns wichtig das jeder seine Entscheidung aus freien Stücken trifft. Das wir in einigen Dingen ähnlich denken und ticken ist dabei ein zufälliger Luxus |
↑6 | Ich gebe zu, ich konnte mir den genauen Dialog nicht merken, obgleich ich hier und da auch Fan von wörtlicher Rede in Blogtexten bin. Ich weiß nur noch, dass ich unheimlich gerne in seine braunen, nachdenklich lächelnden Augen schaute. |