Reflexgefühle (Sommer / Herbst 2019)

An dieser Stelle schreibe ich nicht über einen besonderen Moment, sondern über Emotionen die mir in den letzten Monaten bewusst geworden sind. Da ich diese schon hier und dort erwähnt habe, versuche ich mich kurz zu halten. Mal sehen ob es mir gelingt 😉

Als ich letztens das Wort Reflexgefühl gegoogelt habe, stieß ich auf nix, außer auf einen Begriff aus der Medizin, der irgendwas mit dem Rückenmark zu tun haben soll. Manchmal gerät man in der Sprache an Grenzen und möchte etwas ausdrücken, für das es eigentlich kein Wort gibt. Für mich ist ein Reflexgefühl, so wie ich es verwende, eine Emotion die automatisch in einem aufsteigt, auch wenn der Kopf diese als unsinnig einschätzt – Fast so, als würde einem Onkel Doktor mit seinem Hämmerchen auf den Knöchel hauen. Eifersucht, Verlustangst und Selbstzweifel steigen automatisch hoch wie kochenden Milch. Ausgelöst werden diese z.T. durch alte, tief verwurzelte Werte der Gesellschaft, Botschaften der Medien oder Beobachtungen von Problemen anderer.

Wenn man wie du und ich ein offenes Konzept beginnt, ist es eigentlich okay, wenn der Partner oder man selber auch mal Verlangen nach einem anderen Körper hat. Auch ist es okay, wenn man einfach nur Zeit für sich verbringen möchte, ohne dass jemand weiß wo man sich gerade aufhält. Die reine Vorstellung, dass der andere seine Freiheit auch mit einer anderen Person nutzt – haben sich beide geeinigt – beunruhigt dann auch nicht.

Kommt es aber zu besagtem Moment, in dem man weiß, dass der Partner gerade bei jemandem anderen ist, läuft man kopflos um den Wohnzimmertisch oder schaut zum 7. Mal in den immer noch leeren Kühlschrank. War man selber unterwegs, so ruft man nicht selten hinterher den Partner unverzüglich an. Natürlich um mitzuteilen, dass dieser einem wichtig ist. Vor allem tut man dies aber um sicherzustellen, dass er / sie nicht böse ist. Ist er oder sie sogar vergnügt, fühlt auch dies sich komisch an. Genau solche Gefühle kamen seit der Zeit mit dir in diesen Momenten hoch – und soweit ich weiß, bei dir auch. In diesen Minuten stören die reflexartigen Gedanken und Gefühle, hindern und schwächen einen sogar. So stellt man sich automatisch Fragen wie: „Haben du und sie jetzt mehr Spaß als du und ich?“; „Bin ich nicht sexy genug?“ oder „Stimmt doch irgendwas zwischen uns nicht und ist es jetzt das Ende?“

Und dann betrachte ich mich im Spiegel, bin eigentlich mehr als zufrieden mit mir und der Situation und frage: „Wo zum Geier kommt das denn jetzt her?“  Doch der Geier kann mir das auch nicht beantworten. Also reflektiere ich und fange an, selber zu hinterfragen warum ich jetzt nicht lächeln kann.

Denke ich drüber nach, gibt es einige Reflexgefühle. Eifersucht, Verlustangst und Selbstzweifel sind die klassischen und nicht selten wie eine bunte Spirale der Unsicherheiten miteinander verwoben. Bin ich eifersüchtig auf eine andere Frau, so zweifle ich auch häufig automatisch an mir selber. Ich zweifle an meiner Wirkung und der Verwindung zwischen uns. Sollte ich nicht eher denken: „Mein Gott ich bin toll. Zur Not komme ich gut alleine klar. Außerdem gibt es so viele tolle Dinge auf der Welt. Und ein Sonnenschein wie ich ist selten allein!“

Der Gedanke, dass nur ein Partner einen komplementiert, kommt bei Menschen nicht selten auf. Verlustangst zwingt einen förmlich in die Knie. Doch wenn man es ernsthaft betrachtet, so gibt es für nichts eine Garantie. Man kann nicht wissen wer in 20, 30 oder 40 Jahren an der eigenen Seite steht – außer man selbst.

Dieses Jahr mit dir war bisher wesentlich prägsamer und lehrreicher als alle davor. Ich habe dich vermisst, verflucht und nicht selten in dir, meine eigenen egoistischen Taten der Vergangenheit gesehen. Doch damit habe ich mich auch selber hinterfragt, gestärkt und umgesehen. Was stärkt einen noch außer eine Partnerschaft? Diese kann und wird sich im Laufe der Jahre verändern und läuft ggf. auch irgendwann (vielleicht) auch auseinander. Freundschaften stärken! Diese halten meist länger. Man hängt sich so auch nicht ununterbrochen auf der Pelle. Zudem setzt man sich weniger mit schwierigen Themen wie Geld, Erziehung und „Was wollen wir heute Abend essen“ auseinander. Doch auch Freundschaften können überstrapaziert werden und halten nicht alles auf den Schultern.

Leidenschaften wie Sport, Musik und Kunst sollte man auf keinen Fall als Halt und Stütze vernachlässigen. So gibt es für mich manchmal nichts Schöneres und Stabileres, als mit einer Katze auf dem Schoß zu malen und dabei meiner Lieblingsmusik, Pottcasts oder ganz neuen Interpreten zu lauschen.

Doch der Kampf mit den unliebsamen Gefühlen, beginnt mit jeder neuen Situation aufs Neue. Hat man mir vielleicht unterbewusst eine Gehirnwäsche unterzogen? Wenn man es so sieht:  JA, dann unterzieht sich jeder täglich unbewusst einer Gehirnwäsche! Natürlich durch die „bösen Medien“ die einem suggerieren, dass im Leben etwas fehlt. Mal ist es eine besondere Käsesorte, mal ist es die Liebe des Lebens. Auch Kinderlieder und Bücher geben uns unterbewusst Ansichten und Werte mit. In einem neuen Hörspiel für Mädchen, vermittelte eine der Protagonistinnen z.B., dass es besser sei, seinen Schwarm mit den Worten „es ist alles okay“ anzulügen, als ihm ehrlich zu sagen, dass man in ihn verliebt sei. Schwierigkeiten zu umgehen führt meistens zu mehr Schwierigkeiten. Doch die Menschen laufen gerne vor Dingen weg. Ghosting ist zum neuen Volkssport geworden. Auf der anderen Seite kommen selbstkritische Menschen, wie ich, mit „schockierend-Ehrlich-sein“-Kursen um die Ecke, die einem für 300 € beibringen, jemandem von vorne herein die Wahrheit zu sagen. 

Ich finde es mühsam, Werte die nicht mehr in die Neuzeit passen, aus dem Unterbewusstsein zu entfernen. Auch ich lüge, laufe weg und setze mich mit Eifersucht und Verlustangst auf eine Bank und schmolle. 

Vor allem Ansichten der Umgebung, Familie und Urahnen sind häufig tief verwurzelt. Sind Monogamie, Ehe und der Wunsch nach einem Haus nicht selten der Wunsch des einzelnen, weil sie der Wunsch der Mehrheit sind?  Vor nicht allzu langer Zeit erzählte mir eine zukünftige Braut, dass ihr Zukünftiger gar nicht ihr Typ sei. Als Vater ihrer Kinder im Eigenheim, wäre er allerdings ideal. Mittlerweile sei sie auch aus dem Alter, auf den Tischen zu tanze, raus, und alt genug für Mann und Kinder. Okay, ich will es nicht zu eng sehen. Jeder ist für sein Glück, seine Ziele und die Zeit wie er sein Leben verbringen möchte selber verantwortlich. Es gibt einige, die aus der bekannten Reihe tanzen und tun wonach ihnen ist. Doch sollten das nicht mehr sein? Sollte man sich nicht häufiger fragen: „Was macht mich aktuell glücklich?“ Und die Antwort immer wieder neu hinterfragen? Der Wunsch nach Ehe und Eigenheim kommt nicht selten aus dem puren Wunsch der Beständigkeit. Doch ist der Wunsch nach Beständigkeit nicht die Angst vor dem Unbeständigen? Warum habe ich diese Angst? Traue ich mir selber nicht, dass egal was kommt, ich schon damit klarkommen kann? Beständigkeit wollen ist okay. Viele Menschen haben aber Angst vor Problemen, die sie in der Zukunft gar nicht haben werden.

Bald [1]Stichtag ist Januar 2020. bringe ich einen neuen Menschen auf die Welt. Auch hier kommen Reflexgefühle / Gedanken hoch. Ängste z.B. davor, keine Zeit mehr für sich zu haben, unser Sexleben ad acta legen zu müssen, nicht mehr schlafen zu können und generell zukünftig ausschließlich fremd bestimmt zu sein, stehen plötzlich an der Supermarktkasse neben mir. Obgleich ich schon immer vieles anders / unkonventioneller als andere gesehen und gemacht habe, und auch stets mit einer gewissen Unbeschwertheit an die Zukunft ran gegangen bin, kommen nun die täglichen Sprüche anderer automatisch wie ein Mantra hoch. Doch sind es deren Probleme und Grenzen. Meine / unserer können ganz andere sein. Wie sehr wird mir durch einen Säugling Nachtschlaf fehlen, wenn ich gemäß meiner inneren Uhr doch sowieso eine Nachteule bin? Ist die Einschränkung durch ein Kind wirklich so groß, wenn ich vorher fast täglich Überstunden geschoben habe, und selten unter der Woche irgendwie Zeit für mich selber hatte?

Ängste und Gefühle, die reflexartig hochkommen, blockieren nicht selten den Kopf. Ansichten und Probleme anderer, sowie veraltete Werte sorgen dann zusätzlich für eine verkrampfte Einstellung vor der eigenen Zukunft. Mir lag das Schreiben über dieses Thema sehr am Herzen, doch eine Generallösung habe ich nicht. Cool wäre es, wenn ich andere durch diesen Text zum Nachdenken und vielleicht auch umdenken bringe. Ich selber werde weiterhin versuchen, mit dem bösen Reflexgefühlen Tscha Tscha Tscha zu tanzen. Ich werde versuchen und meine, sowie die Zukunft meines Kindes mit frischen Werten die zur aktuellen Zeit passen, so leicht wie möglich zu gestalten. Wichtig im Kampf gegen Reflexgefühle: flexibel im Kopf zu bleiben – in allen Dingen!!

References

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1 Stichtag ist Januar 2020.
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