Scheidenpilz, Pandemie und Kindergeschrei (Januar-März/ April 2020)

Ich sehe mich noch nachts hochschwanger auf meinem Klodeckel sitzen. Ein Blick auf meine schlecht lackierten Fußnägel und einen auf die bevorstehende Geburt. Ich konnte mir nicht vorstellen bald Mutter zu sein. Etliche Wochen später kann ich mir schlecht vorstellen, es nicht zu sein. Aber auch das wurde uns vorhergesagt. 😉

Wenn man von einer schönen Geburt sprechen kann, so war sie es. Sicherlich gibt es auch schöne Tornados. Dennoch sind Tornados immer gewaltig und Geburten immer schmerzhaft. Sowohl du als auch meine beste Freundin haben mich beim Kindkriegen begleitet. Ich war 11 Tage drüber, wurde eingeleitet und vom Singen im Krankenhausflur, bis zum Brüllen im Kreissaal war alles dabei.

Durch eine Geburt gewinnt man ein neues Leben und verliert einen Großteil seiner Hemmungen. Im schmerzhaftesten Moment ignorierte ich den Vortag der Oberärztin zum Thema PDA, und setzte mich stattdessen, auf die im gleichen Raum befindliche, Toilette. Natürlich war es auch für dich ein einschneidender Moment. Gab es durch die kurze Zeit, seitdem wir zusammen sind, noch gewisse Hemmschwellen zwischen uns, so wurden diese durch die Geburt unserer Tochter, mit dem grünen Fruchtwasser hinaus geschwemmt. Mir tut meine beste Freundin Lisa immer noch leid, welche ich kurz vorm Ziel vollgekotzt habe. Aber schließen wir das Thema Kreissaal mit diesem Gedanken ab.

Vom Beginn der Einleitung bis zum Zeitpunkt der Entlassung vergingen fünf Tage, in denen du die ganze Zeit bei mir warst. Auch hast du auf dem harten Krankenhausbett geschlafen, bist mit mir zusammen in Unterwäsche durch die Flure geschlurft und ertrugst die Zeit über das wirklich schlechte Krankenhausessen [1]Obgleich man sagen muss das die Hebammen und Schwestern wirklich toll waren und ich vor diesen Berufen noch Hochachtung habe..

Und nun, kurz nach der U3-Untersuchung unseres Mädchens, sind wir schon fast ein eingespieltes Team. Vier Wochen haben wir uns zu dritt in meiner kleinen Künstlerwohnung verschanzt. Wir haben gelernt wie man ein Baby hält, Windeln wechselt, auch mal ohne zu duschen klar kommt und welcher Lieferservice der Beste ist. Einziger Besuch: Die Hippie-Hebamme mit ihrem wallenden Haar. An ihrem ersten Tag bei uns, kam sie eine Stunde zu früh. Ich saß noch halbnackt in meinem nicht gelüfteten Schlafzimmer, mit dem Kind am linken Busen. Sie war begeistert und ich hatte am Tag der Geburt, eh meine Hemmungen samt Zweifel und Zukunftsangst, auf dem Krankenhausflur stehen lassen. Die drei klopfen ab und an noch an meine Tür. Ich sehe jedoch davon ab diese zu öffnen.

Du und ich nutzten, verplemperten und genossen die Zeit allein zu dritt. Auch fanden wir recht schnell zurück zur Erotik. Obgleich ich eine Zeit lang Erwachsenenwindeln tragen musste und so manches Duscherlebnis an ein „Blutbad“ erinnerte, tat es gut, mich selbst neben dir sanft zu berühren. Nach zwei Wochen sprach mich meine Nachbarin beim gemeinsamen Spaziergang an. Sie hätte Geräusche aus dem Badezimmer gehört und geraten was wir drüben tun. Sex wird es sicherlich noch nicht sein. Doch seit bereits einigen Wochen schlafen wir wieder miteinander. Wenn „Klein My“ eingeschlafen ist, verabreden wir uns heimlich auf meinem Sofa, neben den Katzen, im Wohnzimmer. Auch an das Babyphone haben wir uns schnell gewöhnt.

Hat der eifrige Leser bereits Kinder, so kennt er das Theater mit Behördenpapieren und Krippenplätzen. Liest dies jemand, der noch keine Kinder hat, möchte ich ihm diese Einzelheiten ersparen. Man möchte ja nicht, dass einem beim Lesen die Füße einschlafen.

Nach vier Wochen, kurz bevor uns die Decke auf den Kopf fällt, gehst du wieder ins Büro und ich ins Mutterland. So sehr ich die Kleine auch ins Herz geschlossen habe, überfordert bin ich schon. Schreien tut das Kind nur nicht, wenn es auf meinem Arm liegt. So traue ich mich in den ersten Tagen kaum alleine den Raum zu verlassen und nehme das Baby auch mit auf die Toilette.

Doch mit den Tagen und einigen Baby-Guck-Besuchen werde ich immer gelassener. Babymädchen schläft tagsüber viel in ihrem eigenen Bettchen und schenkt uns ein paar Stunden für uns selbst.

Auch körperlich geht es mir gut und ich bekomme Lust. Wir verabreden uns für das nächste Wochenende mit unserer Dreier-Gespielin Anja. Sie ist unkompliziert und kann mit einem Babyphon am Bett gut leben. Zwei Tage vor dem Treffen bekomme ich Migräne, und durch verkehrtes Duschgel, einen hartnäckigen Scheidenpilz. Wir verschieben das Treffen und ich genieße die Tage alleine mit Baby, in meiner ursprünglichen Singlewohnung. Viele sind es nicht. Nach genau 10 Bürotagen wirst du aufgrund einer Pandemie (Corona), zu mir ins Heimbüro geschickt.

Noch bevor wir uns ein weiteres Mal mit unserer „Hausdame“ treffen können, tritt ein Kontaktverbot ein. Und nun sitzen wir hier: Zwei Erwachsene, ein Baby und zwei Katzen auf 60 m² mit Kontaktverbot zu Freunden und Familie, geschlossenen Restaurants und strahlendem Sonnenschein.

Wie bei jedem einschneidenden Geschehen der Weltgeschichte, gibt es gute und böse Protagonisten. Während die einen Nudeln und Toilettenpapier bunkern, sorgen sich die anderen um ihre älteren Mitmenschen und ersparen diesen dass ggf. gesundheitsgefährdende Einkaufen.

Wohnhaft in unserer eigenen kleinen Babyblase, nehmen wir die vorgeschriebenen Einschränkungen zunächst nicht allzu sehr war – ist es uns momentan eh nicht möglich in die Kneipe oder ins Kino zu gehen. Als mir auf dem Weg zum Supermarkt, ein Halbstarker mit einer Atemschutzmaske wie zu einer Zombieapokalyse entgegenkommt, verstört es mich doch schon ein bisschen. Auch beobachte ich zwei Frauen draußen im Park, mit Schutzmasken. Auf 3 Meter Entfernung schreien sie sich regelrecht an.

Wir nehmen das Ansteckungsrisiko ernst, machen daraus jedoch keine riesen Sache. Kontakt zu anderen vermeiden wir so gut es geht, gehen nur einzeln einkaufen und spazieren gemeinsam zu nicht allzu frequentierten Naturplätzen.

Dennoch langweilt mich das ledigliche Spazierengehen. Auch die neuen Kochrezepte verlieren auf Dauer ihren Reiz. Was mir fehlt sind soziale Abenteuer: Spannende Gespräche, interessante Begegnungen. Dennoch kommen du und ich in Dauerschleife auf engem Raum ganz gut klar. Viele der Drohungen unserer Freunde und Bekannten, vom Schlafentzug bis zum akuten Zeitmangel, sind bisher nicht eingetreten. Und auch der Sex hat nicht an Reiz verloren. Zudem macht Not erfinderisch. Museen, Clubs und Theater streamen nun live und auch wir finden unserer Alternativen. Während ich mir die buntesten Spaziergang-Partner heraussuche, hast du spontan Telefonsex mit einer Bekannten. Es ist toll, dass du mir so offen davon erzählen kannst. Mal sehen wie lange diese Corona-Krise noch andauert.

References

References
1 Obgleich man sagen muss das die Hebammen und Schwestern wirklich toll waren und ich vor diesen Berufen noch Hochachtung habe.
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner