Dies ist ein kleiner Exkurs zum Thema „Jeder für sich“. Nach unseren gemeinsamen Abenteuerversuchen und der Diskussion um „Komplexmenschen“, trägt das Jahr nun Herbstkleidung. Der Babybauch wächst und zeigt mit Vorfreude und Respekt auf eine ganz neue Zeit, die vor uns liegt. Die Vorbereitungen auf Baby mit Kleidung, Bett, Autositz, Formularen A-Z usw., hatten wir uns bei weitem nicht so zeitaufwändig vorgestellt. Bei dir nehmen der neue Job und die Klärung des alten Lebens [1]Verkauf der Eigentumswohnung + Scheidung. zusätzliche Kapazitäten in Anspruch. Wir genießen die Zeit zu zweit. Doch wir benötigen auch Minuten, Stunden, Tage um den Kopf ohne den anderen frei zu machen und durchzupusten. Du machst das durch Sport und gelegentliche Treffen mit deiner Langzeitbekanntschaft Katja. Ich widme mich weiter Farbe, Leinwand und Fotoapparat und stöbere nebenbei im Angebot einschlägiger Dating-Apps.
Während du mit Katja im Frühjahr bereits eine feste Gespielin gefunden hattest, lag mein Fokus im Frühjahr / Sommer, während meiner Zeit allein, vor allem auf der Kunst. Dennoch kommt auch bei mir ab und an das Bedürfnis, nach Bestätigung und Erotik von außen hoch. Ein Treffen mit dem Ziegenbart aus der umgebauten Kirche, steht für kommenden Donnerstag an. Ich hatte diesen im Sommer während deines Wochenendes bei Lena kennen gelernt. Du warst über Nacht bei der Frau, die ich später als Komplexmensch bezeichnet hatte, während ich mich mit Sex zu viert in einer ehemaligen Kirche ablenkte. [2]Text: Ein Wochenende auf Abwegen.Nach einigen Gesprächen und unguten Gefühlen, hattest du den Kontakt zu Lena bis auf Weiteres auf Telefon und WhatsApp beschränkt. Ich wollte dich / euch nicht einschränken. Dennoch wollte ich mich, durch die Komplexität einer Person, die mehr von dir möchte als nur Sex und nette Gespräche beim Abendessen, jedoch auch nicht selbst geißeln. Und so entschiedst du, dass dies wohl das Beste für alle Beteiligten wäre. Deine Treffen mit Katja empfinde ich als wesentlich leichter und unkomplizierter. Auch wenn es in diesen Momenten immer noch meinen Adrenalinspiegel ansteigen und dass ein oder andere Reflexgefühl hochkommen lässt, so fühlt es sich, wenn wir danach sprechen, gut an – oft auch stimulierend. Selbst als du versehentlich ein Date mit ihr auf denselben Tag wie die Kopfhörerparty, zu der wir uns verabredet hatten, legst, kommt es zu keinem Klinsch. Ich gehe einfach vor und du kommst 2-3 Stunden später nach. Wir amüsieren uns prächtig und haben danach, auch in Gedanken an dein Abenteuer mit Katja, intensiven Sex. Nun steht mein Treffen mit dem Ziegenbart an. Zu diesem würde ich gerne ein ähnliches Verhältnis, wie das zwischen dir und Katja, aufbauen. Sie weiß von mir. Das ich schwanger bin, hattest du ihr allerdings noch nicht erzählt.
Ich merke, dass dich mein bevorstehendes Treffen vielleicht doch ein bisschen nervös macht, lasse mich davon allerdings nicht beirren. Auch du musst dich mit aufkommenden Reflexgefühlen irgendwann mal auseinandersetzen.
Ziegenbart wohnt am anderen Ende der Stadt. Es ist ein bisschen aufwändig, nach der Arbeit nach Hause zum Duschen, aufbrezeln und danach einmal quer durch die Großstadt zu fahren. Doch was macht man nicht für einen außergewöhnlichen Abend? Mein Date ist ein rockiger Typ mit Ziegenbart, Tattoos und charmantem Lächeln. Wir gehen am Wasser essen und unterhalten uns nett. Es geht um Arbeit und Beziehungskonzepte. Wir unterhalten uns neutral, fast wie Freunde. Flirten tun wir wenig. Brennen tut bisher nur die Kerze zwischen uns auf dem Tisch. Kurz vor Mitternacht erreichen wir dann seine Wohnung. Obgleich ich selber Katzenfreund bin, und mir mit solchen ebenfalls eine Wohnung teile, wirft mich der Geruch in diesen Räumen fast aus den Socken. Dafür ist die Wohnung niedlich geschnitten und nett eingerichtet.
Vielleicht auch aufgrund der fortgeschrittenen Zeit kommen wir schnell zur Sache. Der Sex ist…Sex. Nicht mehr und nicht weniger. Wie Spirellinudeln mit Tomatensauce. Okay, aber nicht sonderlich erwähnenswert. Als ich auf dem Weg zurück nach Hause, in meinem Auto sitze, stelle ich fest, dass der Abend zwar ganz nett war. Ich die Zeit allerdings hätte besser aufwänden können – für mein aktuelles Kunstprojekt z.B. Hatte ich vielleicht zu viel erwartet? Lasse ich mich von der Verbindung zwischen dir und Katja doch beeinflussen?
Als du und ich uns über den Abend unterhalten, halte ich mich mit ausschweifenden Details entsprechend zurück. Ich sage auch nicht, dass es schlecht war. War es ja auch nicht. Wiedersehen werden der Ziegenbart und ich uns wohl allerdings nicht.
Die nächsten Tage verbringen du und ich mit dem Streichen meiner Wohnung. Die weitere Zeit wendest du für Projekte bei der Arbeit und Klärungen mit deiner Ex-Frau auf. Ich merke dir an, dass du verständlicher Weise, etwas überfordert mit der Gesamtsituation bist und nicht weißt wo dir der Kopf steht. Die offizielle Klärung der letzten Eigentümer und die Geburt deiner Tochter fallen mit Pech zusammen auf Jahresbeginn. Dein altes und neues Leben geben sich quasi die Klinke in die Hand. Katja hast du einige Wochen nicht gesehen, als die allgemein aufregende Situation dich dazu bringt, ihr noch im Bett von deiner bevorstehenden Vaterschaft zu erzählen. Auch sie ist verständlicherweise überfordert. Plötzlich habe ich das Gefühl, ihr seht euch jede Woche.
An einem Tag, als ich dich zur Mittagsstunde noch versuche zu beruhigen und dir Tipps gebe, wie du deinen Fokus auf Arbeit und Co. wiederfindest, erzählst du mir abends, dass du erneut bei Katja warst. Verlierst du den Fokus auf das was Wichtig ist, oder ich meine Gelassenheit? Ich fange an zu diskutieren und mich in meinen eigenen wirren Gedanken zu verstricken. Am Ende des Gesprächs bin ich müde, will alleine sein und blocke dein Vorhaben, jetzt ins Auto zu steigen, ab. Am nächsten Tag stehst du mit Frühstück vor meiner Tür. Wir reden und ich bin noch immer verunsichert.
Vielleicht kommt auch hinzu, dass ich keine Liebschaft mit einer Verbindung wie die eure habe. Aber ich möchte mich auch nicht zwischen euch stellen. Schließlich wollen wir ja eine offene Beziehung mit entsprechenden Freiheiten. Es ist eine Situation, die sich gerade nicht ganz einfach lösen lässt. Wir verfallen aber auch nicht in Streitereien, sondern reden ganz ruhig miteinander. Ich versuche erst nachzudenken, bevor ich anfange zu diskutieren, ohne auf den Punkt zu kommen. Du hingegen versuchst den Fokus auf deine Baustellen nicht zu verlieren. Deine Verbindung zu Katja soll bestehen bleiben, nur wieder „zwischendurch“ wie gehabt. Und die Moral von der Geschicht? Gibt es eigentlich nicht außer: Ruhe bewahren und weiter machen! Oder brauchen wir doch so langsam Regeln?