Es ist Dezember. Es ist zwischen Weihnachten und Sylvester 2018. Ein unglaublich turbulentes Jahr für mich. Ich relativere, denn ggf. würden andere sagen, dass das doch alles „kicki“ sei und das alles nichts mit turbulent zu tun hat. Vieles ist halt eine Sache der Perspektive, oder eine Sache von Gefühlen. Jeder Mensch fühlt auf seine ganz eigene Art und Weise. Ganz individuell. Dadurch bekommt man auch mal nicht mit, wenn man die Gefühle eines anderen Menschen verletzt. Es muss aber auch nicht immer gleich um Verletzung von Gefühlen anderer gehen. Manchmal sind es Missverständnisse, die einen irritieren, oder eine gewisse Körpersprache die man nicht richtig deutet. Du und ich, wir kennen uns noch nicht so lange. Zwei Monate vielleicht. Wir können uns ganz einfach noch gar nicht richtig einschätzen. Alles ist neu. Jeder Wimpernschlag, jede Geste, oder ein gewisse Mimik, kann einen aus dem Konzept bringen. Kann einen zweifeln lassen. In dieser Phase, wo man noch nicht genau weiß, wer der Gegenüber genau ist kann eine Stimmung zu einem Menschen schnell kippen. Man hat noch nicht so viel Herz und Leidenschaft investiert, so dass man schneller geneigt ist, die „Exit Strategie“ zu wählen. Der Köhlerhüttenmoment war einer dieser Tage, wo man ins Wanken gerät.
Es ist schwierig und manchmal auch anstrengend, wenn man sich noch nicht so gut kennt. Du und ich, es ist kurz nach Weihnachten und wir haben uns verabredet. Es geht in den Wildpark. Eine ganz schöne Idee. Es ist zwar kalt und einige Tiere werden wir sicher nicht zu Gesicht bekommen, aber ein wenig an der frischen Luft zu sein und miteinander zu reden, eine entspannte Zeit zu haben… aber so läuft es manchmal nicht. Wir sind beide Menschen, die Veränderungen wahrnehmen. Die Stimmung ist nicht ganz so gelöst wie sonst. Du und ich, wir sind spät dran an diesem Tag. Es wird schnell dunkel und bald dämmert es schon ganz schön. Uns ist kalt, es ist windig und es regnet leicht. In einer Köhlerhütte machen wir eine Pause. Es brennt ein Feuer und wir wärmen uns ein wenig auf! Du redest recht schwermütig. Es fällt ein Wort, das sich bei mir einbrennen wird. „Fluchtreflex“! Es sind Zweifel da, ob das alles so gut ist und ob nicht die ganz individuellen Lebenssituationen die wir haben, gerade so gut zusammen passen. Viele Pro´s und viele Contra´s. Wir fangen an über uns selbst zu kreisen. Wie der Adler aus diesem Wildpark. Das Feuer geht so langsam aus. Es wird auch keiner mehr kommen und neues Holz ins Feuer werfen. Der Park schließt bald. Und Du und ich? Schließen wir auch bald unsere Pforten? Schließen uns einander aus? Du bist diejenige, die gerade erst gleich zwei Beziehungen beendet hat. Das ist für mich so spannend wie auch ein wenig grotesk. Ich derjenige, der seine 16 jährige Beziehung beendet hat und seine Ehe zu Grabe tragen will. Ganz ehrlich was sind wir zwei eigentlich für Vögel. Aber zwischen uns existiert diese Anziehungskraft. Uns verbindet Leidenschaft und das Verlangen nach intensiven Gefühlen. Und wir können reden. Sehr gut sogar. Diese Kombination finden wir beide spannend.
Wir haben auch schon über Beziehungsmodelle geredet. Modelle, wo jeder noch seine Freiheiten hat. Die Freiheit das zu tun, was einem wichtig ist. Sich mit etwas oder jemanden zu beschäftigen. Auch mit anderen Menschen Sex zu haben. Warum komme ich jetzt gerade auf dieses Thema. Das I-Tüpfelchen des Abends kommt erst noch.
Nennen wir sie Susanna! Susanna kenne ich bereits seit dem Sommer. Ich habe Susanna bei irgendeiner Veranstaltung kennengelernt. Ich habe mich gleich sehr gut mit ihr verstanden. Allerdings kann man schon sagen, dass es immer eher eine freundschaftliche Basis war. Dann kam dieser Tag nach Weihnachten. Ich schaute mit Ihr einen Film und dabei fingen wir an zu knutschen. Unsere Zungen spielten miteinander und die Hände gingen auf Erkundungstour. Sie ist unsicher, ich ziehe sie aus und erkunde ihren Körper. Ich liebkose ihre Brüste, meine Zunge wandert weiter nach unten. Sie liegt nackt vor mir und ich fange an sie mit der Zunge zu verwöhnen. Doch ihre Unsicherheit will sich nicht so recht legen und ich breche ab. Wir liegen so nebeneinander und schlafen irgendwann ein.
Ich berichte Dir davon und ich erwische Dich ziemlich kalt mit dieser Information. Deine Gefühle haben Dich nicht getäuscht. Du spürtest eine Veränderung. Du hast damit aber nicht gerechnet. Wir haben über Freiheiten gesprochen, aber dass ich nun so schnell voraus presche, war so vielleicht auch nicht gedacht. Für Dich war es aber auch eher das wie ich es Dir kommuniziert habe. Ich merke hier das erste Mal, dass sich die Idee von einer offenen Beziehung sehr spannend anhört, aber doch deutlich komplizierter ist, als man vielleicht auf Anhieb vermuten möchte. Ich spüre jetzt auch ziemlich genau Deine Unsicherheit. Bei mir hatte sich diese Situation ergeben, doch bereit waren wir dafür überhaupt noch nicht. Ich spüre Deinen Fluchtreflex. Du möchtest schon jemanden an Deiner Seite, den Du vertrauen kannst und der mit Dir seine Gedanken teilt. Ganz ehrlich halt. Ich sah ein, dass meine Aktion sehr kontraproduktiv war. Aber ich habe es zugelassen und wollte in diesem Augenblick dieses Erlebnis mit Susanna. Ich will aber nun nicht, dass Du gehst! Das spüre ich auch!
Wir fahren zu mir und nehmen noch etwas zu Essen mit. Und Wein. Doch viel davon trinken wir nicht. Es kommt eine Idee auf! Wir fahren noch irgendwohin zum Tanzen. Der 80’er Schuppen entpuppt sich schnell als langweilig. Wir entscheiden uns für die Schwulenbar. Puh, das ist schon deutlich lebhafter, aber für mich auch ein kleiner Kulturschock. Das Du am Ende mit schwulen Männern rumknutscht und selbst ich mich anmachen lasse und anfange zu knutschen passt irgendwie zum Tagesverlauf. Die Nacht wird noch lang werden. Ich merke, am nächsten Morgen, dass Du nach wie vor nicht genau weist, wie Du damit umgehen sollst. Ich weiß nicht genau, wie ich mich verhalten soll. Wir haben Sex! Sehr intensiven Sex! Deine Stimmung ist weiter gedämpft. Wir werden noch zusammen etwas essen fahren, bevor sich unsere Wege erstmal trennen. Wir reden erneut viel, lange und intensiv miteinander. Doch als Du mit Deinem Wagen wegfährst, weiß ich nicht genau, wie Deine Gemütslage so ist. Ich fühle mich… ich weiß nicht so recht. Vielleicht überfordert. Also dafür, dass wir es doch eigentlich leicht halten wollen, fühlt es sich gerade eher gegenteilig an. Dieser Tag geht für uns als der Köhlerhüttenmoment in unsere Geschichte ein.