Kinderkram (ab Mai 2019)

Bereits beim ersten Sex hatten wir das Thema Verhütung komplett vernachlässigt. Dies ist eigentlich untypisch für uns beide. Von Anfang an war da eine gewisse „animalische“ Anziehungskraft. Der Satz „Hmm und was machen wir nun? Pille danach?“, steht auch nicht zum ersten Mal im Raum. Doch wie auch beim ersten Mal, stehen wir zu dem was „passiert“ ist. Außerdem rechnen wir eh nicht damit, dass überhaupt etwas passiert ist  – 16 Jahre verhütungsfrei bei dir und knapp 5 Jahre verhütungsfrei bei mir. Auch bist du der Meinung, dass es mit Ende 30 für dich sowieso schwierig sein müsste Kinder zu zeugen. Wenn, dann müsse man 24 Stunden lang in Abhängigkeit der Mondphasen, und was es da sonst noch alles gibt, kopulieren. Seit ein paar Monaten trage ich die Fruchtbarkeitskette meiner Freundin Lisa. Dies tue ich nicht weil sie diese tagelang unter ihrem nackten Busen trug und unter fließendem Wasser im Mondschein gereinigt hat. Ich finde die kleine silberne Kette mit dem Aphroditeanhänger einfach schön. Zudem passt sie super zu meinen Tattoos.Gestern bekam ich noch den Anruf von meiner Frauenärztin, dass ein Gebährmutterhalsabstrich auffällig war und heute zieht es im ganzen Körper. Meine Periode habe ich auch noch immer nicht bekommen.

„Ich gehe kaputt, das fühle ich. Und wer kümmert sich dann um meine Katzen wenn ich tot bin?“, wimmere ich über den Schreibtisch hinweg. „Jetzt fang nicht an zu spinnen“, antwortet meine Freundin, die mir im Büro gegenüber sitzt und gerade ihre Haferflocken-Joghurt-Pampe isst. „Du kommst heute Abend zu mir und machst einen Schwangerschaftstest“.

Laut der Dame in der Apotheke, soll ich lieber zwei Tests mitnehmen, da der erste heute Abend ggf. nicht sofort anschlägt. Morgenurin wäre generell besser geeignet.Noch bevor ich gegen 21:00 Uhr mit dem gemachten Test in der Hand in der Küche meiner guten Freundin angekommen bin, steht auf diesem „SCHWANGER“. Sie strahlt und ich lasse mich entsetzt auf den Küchenfußboden sinken.

Wenn man sich den letzten Text und den Anfang von diesem durchliest, ist es jetzt keine große Überraschung, doch mich haut es in diesem Moment in der Tat aus den Socken. Natürlich haben wir provoziert. Dennoch ist das Thema Kinder ist gerade so fern wie eine Giraffenzucht. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass genau solch eine Giraffe neben mir steht. Neben genau dieser hockt nun meine Freundin und Arbeitskollegin und telefoniert mit meiner besten Freundin Lisa: „Lisa wir werden Tante“, ruft sie, während ich noch immer den positiven Schwangerschaftstest in der Hand schüttle.

Als ich dir eine kurze Nachricht schreibe, dass du mich bitte einmal zurückrufen möchtest, teilen die beiden Frauen gerade ihre noch vorhandenen Babysachen gedanklich auf. Ich besitze bereits ein Babybett, sämtliche Kleidung für die ersten Monate und einen Türhopser – Was auch immer das sein mag? „Und du musst morgen bei meiner Hebamme anrufen“ „Warum denn das? Ich bekomme das Kind doch noch nicht morgen…. oder?“

Erreichen tue ich dich erst telefonisch bei mir zuhause, um Mitternacht, nach der dritten Zigarette in Folge. Es sollen meine letzten Zigarette sein. Ich wollte sowieso damit aufhören.Als du bei mir ankommst, stehen wir regungslos nebeneinander und neben uns. Bereuen tun wir allerdings nichts.

Am nächsten Tag rufe ich die ominöse Hebamme meiner Freundin an. Warum ist mir bisher absolut schleierhaft. Das sage ich ihr auch so. Sie lacht ins Telefon und vereinbart einen Termin mit mir in der nächsten Woche.

Das Thema Kinder bleibt auch in den nächsten Tagen abstrakt, vor allem als du und ich gemeinsam auf den Ultraschallmonitor meiner Frauenärztin schauen. Das erste Ultraschallbild verstört mehr, als es erfreut. Doch wir halten zusammen, versuchen die kommenden Veränderungen aber erstmal gedanklich weg zu schieben. Einfacher gesagt als getan, wenn der Körper macht was er will. Neben der morgendlichen Übelkeit und der Dauermüdigkeit, läuft mir nun an diesem schönen Montagnachmittag Blut aus dem Hintern. Ich bleibe ruhig, mache früh Feierabend und versuche, als ich zuhause bin, meine Ärztin zu erreichen. Dort geht natürlich niemand ans Telefon. Bei mir läutet es hingegen nun an der Tür. Die Hebamme steht davor. Wenige Minuten später, sitze ich mich mit dieser und dir an einem Tisch. Es geht vorallem um „den perfekten Schiss“ bzw. um Mittel gegen Verstopfungen in der Schwangerschaft. Mein Vorsatz, dir gegenüber möglichst lange sexy rüberzukommen, wird in diesem Augenblick mit Leinen- und Flohsamen beworfen. Doch dich beeindruckt so etwas nicht. Du trinkst solidarisch das erste Glas wirklich ekelhafter Flohsamen mit mir mit.

Trotz Überforderung auf allen Ebenen [1]Neuer Job, Scheidung, kleine Wohnung bei den Eltern. begleitest du mich zu jedem „Babytermin“.Wir fahren die Themen „offene Beziehung“ und „wir werden Eltern“ gedanklich, parallel weiter. Abends treffen wir uns zum Sex mit anderen Menschen. Morgens kaufen wir beim Babymarkt um die Ecke Sachen, von denen wir nur wissen, dass wir sie brauchen, aber nicht genau wozu. Wir reden viel, schlafen miteinander[2]Ein hoch auf die durchblutete Gebärmutter. und ziehen uns immer ein Stückchen mehr an. Die Vorfreude auf das neue Leben wächst, genauso wie die Angst vor der neuen Zeit die vor uns steht.

Während sich mein Körper laufend verändert [3]Ich habe stumpfe Haare, eine grauenhafte Haut und einen Hang zu sauren Sachen. Dafür nehme ich aber wenig zu., beobachte ich um mich herum, nun wesentlich aufmerksamer als vorher, Menschen mit Kindern und angehende Menschen mit Kindern. Nicht selten habe ich den Eindruck, sobald ein neues Geschöpf auf die Welt kommt, wird der verspielte, kopflose Mensch auf Kommando erwachsen und selbstkontrolliert. Auf der Party, auf welcher es sich vor 1,5 Jahren noch hauptsächlich um Alkohol und Witze unterhalb der Gürtellinie drehte, sind die Hauptthemen nun Hochzeiten, Kindersitze und Kinderkrankheiten. Das hört sich sehr klischeehaft an. Seitdem ich jedoch schwanger bin, reden die Menschen um mich herum gefühlt hauptsächlich über „Was brauche ich bis zur Geburt“, „Was brauche ich zur Geburt“, „Was mache ich bei der Geburt“, „Was mache ich nach der Geburt“ und „Was mache ich bis zur nächsten Geburt“. Den Satz „verabschiede dich von deinem selbstbestimmten Leben“, höre ich tatsächlich von jeder der Mütter um mich herum. Als ich frage warum die Menschen denn überhaupt Kinder bekommen, antwortet meine beste Freundin Lisa, nachdem sie ihrer 12-Jährigen Tochter eine Standpauke zum Thema „meins und deins“ gegeben hat und sich der Ruhe wegen, auf dem Klo einsperrt: „Ich weiß nicht. Früher gab es 1-2 Leute in unserem Umfeld, die mit dem Rauchen angefangen haben. Irgendwann haben dann alle geraucht. Mit Kindern muss es ähnlich sein. Geschmeckt hat das Rauchen übrigens nie“.

Dennoch lieben all die Eltern ihre Kinder und würden sie für nichts auf der Welt wieder hergeben. Angst bereitet mir bisweilen daher nicht das kleine Würmchen in meinem Bauch, sondern eher die Menschen und das System drumherum – Eltern, Freunde und Bekannte, die genau wissen wo der Hase langläuft, welche Unterwäsche er trägt und einem das auch täglich sagen. Auch beängstigen mich Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen, in dessen Sicht es nicht angehen kann, dass ein 4-Jähriger noch nicht deutlich spricht, oder sich ein 6-Jähriger gerne mit seinen Mitschülern prügelt.

Auch unterhalte ich mich mit Frauen ohne Kinder, zu denen ich lange gehörte. Für sie wird das Thema Kinder, durch meine Kugel, jetzt wieder präsent. Nicht selten hörte ich in der Vergangenheit Sätze wie: „Du hast ja keine Ahnung, du hast ja keine Kinder“. Diesen Frauen versuche ich das Gefühl zu geben, auch wenn sie keine eigenen Kinder bekommen, sie trotzdem eine wichtige Rolle in Leben von heranwachsenden Menschen spielen. Denn ich habe die für mich wichtigen Werte nicht hauptsächlich von meinen Eltern erhalten. Ich hatte keine schlechte Kindheit. Trotzdem habe ich meine Kindheit nicht gemocht. Meine Eltern warn recht kontrolliert und irgendwie auch konservativ. Als Paar habe ich sie nie wirklich erlebt. Das Bunte, Durchgeknallte, sowie die Sicht, dass Zeit bedeutender ist als Status und Geld, bekam ich von den Menschen, die mir begegneten und nun recht lange meine Freunde sind. Meine beste Freundin Lisa meint, wenn ich nicht so lange von der Sicht meiner Eltern abhängig gewesen wäre, würde ich schon längst in einem Bauwagen wohnen, hauptberuflich bunte Bilder malen und nebenberuflich Pornos drehen. Eine etwas überspitzte Sicht, aber nicht ganz verkehrt. Das Künstlerische und Bunte in Form von Verzierungen auf meiner Haut, brach erst aus mir heraus, als ich mich von dem, was meine Eltern von mir erwarteten, löste.

Und so denke ich auch darüber nach, was ich meinem Kind – es wird übrigens ein Mädchen – mitgeben möchte. Mit dir habe ich schon mehrmals darüber gesprochen und es tut gut, dass wir beide ähnlicher Meinung sind. Meine Eltern waren sich stets uneinig. So ist uns wichtig, einen Menschen hervorzubringen, der sich dem Leben bewusst ist, Zeit nutzt und sein Leben so gestaltet, wie er es am liebsten leben möchte. Auch wollen wir nach Möglichkeit weiter wir sein – verspielt, verplant und sexuell aufgeschlossen. Kein vielleicht ganz so einfaches Vorhaben.

Ein Bekannter von mir meinte letztens: „Ich wette in zwei Jahren hört ihr auf mit diesem „offenen Beziehungs-Krams“ und seid so monogam und normal wie wir.“ Dabei ist in einer offenen Beziehung Sex nicht alles. Wichtig ist das offen sein, offen reden und sich seiner Freiheiten bewusst zu sein, auch wenn man die nicht rund um die Uhr nutzt. Ebenso bedeutend sind die Einstellung und die dahinterstehenden Werte, welche wir später auch unserem Kind vermitteln wollen. Offenes Reden, Reflektieren und Eingeständnisse machen nehmen wir uns auch weiter vor. So habe ich dir letztens gestanden, dass wir uns in Kürze Gedanken zu den Finanzen machen müssen, da ich nicht so große Sprünge machen kann. Und auch du öffnetest dich mir gegenüber, indem du mir von deinen Ängsten vor der Zukunft erzähltest. Ich gestehe, manchmal frage ich mich schon, warum wir so kopflos gewesen sind. Doch dann streichle ich meinen Babybauch und sehe die herausfordernde Zukunft als Chance, und vor allem als Bereicherung.

References

References
1 Neuer Job, Scheidung, kleine Wohnung bei den Eltern.
2 Ein hoch auf die durchblutete Gebärmutter.
3 Ich habe stumpfe Haare, eine grauenhafte Haut und einen Hang zu sauren Sachen. Dafür nehme ich aber wenig zu.
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