Dies ist quasi der überlange Klappentext des Blogs – ein kurzer Ritt durch das Geschehene. Als ich vor etlichen Jahren mit meinem Wirtschaftsstudium begann, stand vorne am Podium eine Dame, mit einer unglaublich großen Nase. Da niemand von uns einen blassen Schimmer hatte, worum es in dem Kommenden eigentlich geht, galoppierte sie einmal munter durch alle bevorstehenden Themen. Ein paar Studenten beendeten bereits nach zwei Vorlesungen das Studium. Ich muss zugeben, ich achtete tatsächlich nicht nur auf ihre Nase, sondern hörte auch auf das Gesagte. Seit ein paar Tagen befinden wir uns im Mai 2020. Geschrieben haben wir seit Herbst 2018. Es ist einiges geschehen und so galoppiere ich kurz durch das Kennenlernen und die bereits geschehenen Momente / geschriebenen Texte, um den eifrigen Leser einen Geschmack der zukünftigen Lesekunst zu geben und um zu zeigen, dass es sich lohnt länger sitzen zu bleiben 😉.[1]Titelbild: Ronny Zeisberg – Wieglas
Im Herbst 2018 sitze ich vor allem auf dem Fußboden. Ringsum liegen Schnipsel, Farbtuben und Pinsel. Ich weiß weder mit dem Papier, noch mit mir selbst, so recht etwas anzufangen. Mein Versuch, einer polyamorösen Beziehung, ist reichlich nach hinten los gegangen. Nicht selten wache ich auf und vermisse die beiden, bis dato Hauptprotagonisten meiner letzten fünf/zwei Jahre. Während sich Malte in eine wiedergekehrte Depression zurückgezogen hat, und nur seine Familie an sich ranlässt, ist André frisch verliebt. Gelegentlich meldet er sich noch bei mir. Die Suche nach einer neuen Liebe / Begleitung / Seelenverwandtschaft / Abwechslung bleibt für mich erst einmal ausgeschlossen. Als ich kurz nach diesem Entschluss kopflos meinen Kater an meinen alleinstehenden, 70-Jährigen Nachbarn verleihe, und nachts einsam aufschrecke, installiere ich Tinder auf meinem Handy.
Zwei, drei Mal treffe ich mich mit einem attraktiven Asperger-Autisten mit einem Hang zum Latex. Der Funke springt nicht über. Das Loch im Bauch ist nach wie vor vorhanden. Dennoch tut mir die Ablenkung ganz gut. So wische ich weiter munter hin und her. Irgendwann stoße ich dann auf einen schlanken Mitdreißiger. Diesen katapultiere ich aufgrund seiner Meckifrisur zunächst ins „Off“. Aus dem Bauch heraus mache ich diese Entscheidung jedoch sofort wieder rückgängig und schicke diesen aufgrund seiner roten Kopf- und Barthaare ein Level weiter. Man ist doch oberflächlicher als man zugeben mag 😉. Er schreibt ganz sympathisch. Wir verabreden uns zu einem Telefonat am kommenden Sonntag. Eigentlich ist mir gerade egal, mit wem ich da rede. Jegliche Ablenkung ist herzlich willkommen. Ich sitze gerade an dem Geburtstagsgeschenk für den 9-Jährigen Sohn meiner Freundin. Ursprünglich hatte ich mit einem Wunsch in Form von Matchboxautos oder Lego Technik gerechnet. Dieser junge Mann wünscht sich jedoch ein Bild im Stil von Kandinsky. So bin ich erst einmal an meinen Tisch gefesselt.
Als ich das letzte Mal mit einem Mann telefonierte, den ich per Tinder kennen gelernt hatte, erzählte mir dieser nach kurzer Zeit, dass er heimlich Frauenunterwäsche trage. Der Mann davor, klang indessen wie der verrückte Hutmacher aus Alice im Wunderland. Also beginne ich, versunken in mein kleines Kunstwerk, den ersten Satz ähnlich wie „Ich habe keine Ahnung wer du bist, aber für heute habe ich dich zu meinem Tagesabschnittsgefährten gewählt, denn ich komme hier nicht weg.“ Du und ich telefonieren an diesem Abend zehn Stunden. Es geht um die Farbe die ich verwende, die Katzen die über meinen Tisch laufen, deine letzte Endlosbeziehung, mein Hang zum Unkonventionellen und um dein Geduldsfässchen. Die Fortsetzung folgt gleich am nächsten Tag. Auf meine Idee hin spielen wir „Rippel Tippel“ und tupfen uns dabei das Gesicht voll mit Creme. Auch erraten wir u.a. welche Gegenstände auf dem Wohnzimmertisch des anderen liegen. Das darauffolgende Gespräch, unter der Woche, ist ähnlich lang. Wir schlafen zusammen am Telefon ein, und mir gelingt es, durch die neuen Endorphine, am nächsten Arbeitstag gekonnt zu verschleiern, dass ich nur 3 Stunden geschlafen habe.
Die Telefonate sind für uns beide pure Ablenkung. Auf der Suche nach dem nächsten Lebensgefährten, sind wir eigentlich nicht. Ein wenig Hoffnung ist dennoch da, dass der Part am anderen Ende der Leitung, die grauen Tage, auch jenseits des Telefonats, bereichern könnte und nicht sofort ein Schuss in den Ofen ist. So stellen wir uns die Frage, mit welchem Essen das erste Treffen vergleichbar wäre, wenn es gut verläuft. Currywurst Pommes ist zu schwer und zu fettig. Wir kommen ganz klar zu dem Schluss: „Crêpe, belegt mit Ziegenkäse, Nüssen und Honig.“
Wir treffen uns an einem Abend in einem „Inlocal“ in meiner Nähe. Ich bin 15 Minuten zu spät, du 25. Du fährst einen schmutzigen Kombi, hast ein nettes Lächeln, trägst aber einen scheußlichen Alt-Herren-Pulli mit V-Ausschnitt. Wir unterhalten uns lange, essen Burger und Salat. In der Tat wird es ein sehr leichter Abend. Von Beginn an reden wir über unseren Vergangenheiten und darüber, dass wir, fernab der Monogamie, gerne etwas anderes hätten. Was auch immer das sein kann. Irgendwann streichst du mir über die Hände und wir spüren, die recht intensiven Berührungen des anderen zum ersten Mal. Zwei Stunden später sitzen wir knutschend in deinem Auto. Es hätte schlechter laufen können 😊. Zum zweiten „Date“ schließen wir uns einer offenen Gruppe erwachsenen Laternengänger an. Anstatt jedoch bei den häufigen Stopps mitzusingen, halten wir uns aneinander fest und knutschen. Wie soll man in der Kälte auch durch Singen warm werden? Bis zum Morgengrauen verbringen wir die Nacht dann in deinem Auto. Ich erzähle dir von meinen Treffen mit dem Asperger und du mir von deiner Sommerfreundin. Sie ist 28 Jahre jung und prima zum Erkunden der Stadt, sonst aber noch sehr schüchtern. Nebenbei triffst du dich mit einer 28 Jahre alten Bekanntschaft. Kennengelernt hast du sie auf „Poppen.de“. Ihre Qualitäten beschränken sich hauptsächlich auf das Horizontale.
Von Anfang an sind wir befreiend ehrlich zueinander und erzählen uns, dass wir uns auch mit anderen treffen. Dem ersten sehr intensiven, zügellosen Sex, folgen viele leidenschaftliche Nächte und ehrliche Gespräche. Wir erzählen uns am Frühstückstisch von unseren letzten Beziehungen, auch von den schweren Momenten und unseren eigenen Fehlern. Die ein oder andere Verhütungspanne, die wir nun miteinander, und nie mit anderen hatten, nehmen wir so hin – komisch eigentlich. Wir treffen uns häufig, aber nicht, weil wir uns gerne in die nächste Beziehung stürzen wollen, sondern einfach weil wir uns guttun. Das was da zwischen uns ist, definieren wir nicht. Wir wissen nur, dass es offen, aufrichtig und leicht sein soll.
Nach schmerzhaften Trennungen auf deiner und meiner Seite, helfen wir uns gegenseitig durch die dunkle Jahreszeit. Du staunst über mein buntes Chaos. Ich staune über deine 15 gleichen, weißen T-Shirts auf der Wäscheleine. Du erzählst mir von deinem Traum, irgendwann quer durchs Land zu laufen. Ich erzähle dir von meinem Vorhaben, später mal einen Kunst- Swingerclub zu eröffnen. Während ich ab und an fast freundschaftlich mit Andre telefoniere, triffst du dich weiterhin, zu der ein oder anderen Erkundungstour, mit deiner Sommerfreundin. Mein Asperger und deine Sexbekanntschaft bleiben, aufgrund von Zeitmangel, irgendwie auf der Strecke. Auch der Pulli mit dem V-Ausschnitt, noch aus der Ehezeit, verschwindet.
Dennoch wird es auch bei dir und mir kompliziert, sobald Gefühle ins Spiel kommen und einem der andere nicht mehr ganz egal ist. Wir wollen eine offene Beziehung führen. Wie man das genau macht wissen wir nicht. Bereits zum Jahreswechsel schlittern wir in einen abstrakten Partyabend, als du mir berichtest, dass du deiner Sommerfreundin körperlich nähergekommen bist. Da diese jedoch mit Ende zwanzig noch Jungfrau ist und an die eine wahre Liebe glaubt, fällt auch sie über den Tellerrand.
Während du weit über ein Jahrzehnt in einer monogamen Beziehung fast schon „gefangen“ warst, habe ich das bunte Leben genossen und bin von nackten neuen Menschen etwas gesättigt. Es überrascht mich daher umso mehr, als du bereits im Frühjahr, das erste Mal, mit einer anderen schläfst. Wir merken, dass eine offene Beziehung wesentlich komplexer ist, als wir es gedacht hätten. Und so beschäftigen wir uns im Sommer mit der Frage: „Was tun, wenn Menschen denen wir die Beziehung geöffnet haben, mehr Anspruch einfordern?“
Gekrönt wird der Frühsommer aber, von einem positiven Schwangerschaftstest. Doch auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen, freuen wir uns auf die neue Herausforderung. Bis dahin wollen wir aber noch gemeinsam Abenteuer erleben. Obgleich das ein oder andere Erlebnis recht amüsant ist, mag das gemeinsame sexuelle Abenteuer zunächst nicht so klappen. Stattdessen bringen die Einzelabenteuer des einen und die gleichzeitige Flaute des anderen, uns erneut an eine Grenze. Doch wir reden und lernen vor allem viel… Bis sich im Herbst / Winter das Blatt dreht.
Nun schreiben wir das Jahr 2020. Wir haben im letzten Jahr, pro Nase, mehr als ein Duzend Texte geschrieben. Diese werden wir, aufgrund von Zeitmangel, etwas verspätet und der Spannung halber, nach und nach veröffentlichen. Beginnen tut der erste Text, vor jetzt fast 1,5 Jahren – ein Tag vor Sylvester 2018. Schreiben werden wir aber weiter, dann mit Kind. Wir werden berichten, wie es ist, wenn sich der Fokus komplett neu verlagert, welche körperlichen Einschränkungen und Herausforderungen es gibt und welche Beziehungsformen uns in Krabbelgruppen und beim Babyschwimmen so begegnen.
References
↑1 | Titelbild: Ronny Zeisberg – Wieglas |
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