Mit vierzehn war ich verknallt. Diese „Beziehung“, in der ich mich z.T. heimlich aus meinem Elternhaus schlich, hielt ca. 2-3 Wochen. Das ist jetzt nicht so ungewöhnlich und kommt mal vor. Ungewöhnlich ist jedoch, dass der Kontakt bisher besteht, wie fast zu allen meinen Exfreunden eigentlich. Laut meiner besten Freundin, solle ich endlich mal aufhören, Menschen zu sammeln und es mal mit Espressotassen probieren.
Wenn es auch bei vielen nicht so ist, mir ist es wichtig, zu wissen wie es der Liebe eines vergangenen Lebensabschnitts jetzt geht. – Haben wir doch viel miteinander geteilt und voreinander preisgegeben. Während ich mit dem ein oder anderen lediglich Grüße zum Geburtstag und zu Weihnachten austausche, schreibe ich mit diesem einen Mann jedoch seit knapp 15 Jahren E-Mails.
Kennengelernt hatten wir uns vor 20 Jahren in der Gastronomie meiner Eltern. Heimlich trafen wir uns an einem See, ein Dorf von meinem Wohnort entfernt. Da wir Sorge vor der Reaktion unserer Eltern hatten – war er doch schon Anfang 20 und ich noch keine 15 – trennten wir uns. Fünf Jahre später trafen wir uns zufällig beim Einkaufen wieder – Beide mittlerweile in einer festen Beziehung [1]Mit einem offenen Beziehungskonzept hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschäftigt, geschweige denn davon gehört. Mit 18 bin ich bereits von zuhause raus und wohnte, mit dessen finanzieller Unterstützung, bei meinem damaligen Freund. Eigentlich passten wir nicht zusammen. Wir stritten viel, kamen aber irgendwie nicht voneinander los. Ich machte gerade mein Abi nach. Geld verdiente ich noch nicht. Dieser fast vergessene Mann und ich trafen uns damals im Jahr 2005, zunächst rein freundschaftlich. Mein damaliger Freund wusste davon, wurde jedoch mit der Zeit immer eifersüchtiger. Mit der Zeit wurde es auch immer ernster zwischen meiner ersten Liebe und mir. Mich faszinierte der hoch gewachsene, schlanke Mann mit dieser Mischung aus Ruhe, Zynismus und einem Spritzer Hochmut. Wir trafen uns im Wald und am See, machten lange Spaziergänge und tauschten zaghafte Küsse aus. Mehr geschah nicht. Doch der Drang nach mehr, nach einem „Gemeinsam“ war groß.
Mit Anfang zwanzig träumte auch ich den Traum vieler junger Mädchen: Den einen Mann heiraten, Kinder bekommen und irgendwo auf dem Land ein Häuschen bauen. Für mich war er „DER EINE“, auch wenn wir nie zusammengewohnt, geschweige denn einen einzigen „Alltag“ miteinander verbracht hatten.
Im Kopf suchte ich viele Lösungen, um aus meiner damaligen Beziehung, bzw. der Wohnung meines Freundes herauszukommen. Geld für eine eigene Wohnung hatte ich nicht. Zu meinen Eltern wollte und konnte ich nicht mehr. Manch schlaflose Nacht verbrachte ich mit Grübeln. Zeigen tat ich dies meiner ersten Liebe nur ansatzweise. Er bot mir an, mir eine Wohnung zu finanzieren, eventuell auch mit mir darin zu wohnen. Ich weiß nicht mehr aus welchen, doch damals fielen mir zig Gründe ein, um dieses Angebot abzulehnen. Ich grübelte weiter.
In einem unüberlegten Moment erzählte ich dem Mann, in den ich eigentlich verliebt war, dass ich mich nicht von meinem Freund trennen könne bzw. wolle. Ich zog mich zunächst zurück, reagierte auf keinerlei Nachricht und brach letztendlich den Kontakt für ein gutes Jahr ab.
Meine Entscheidung bereute ich schnell. Doch es dauerte eine Weile, bis ich meine Eltern überzeugen konnte, mich dabei zu unterstützen, bei meinem Freund auszuziehen. Den Kontakt zu meiner ersten Liebe nahm ich wieder auf. Dieser war aber bereits mit seiner Freundin zusammengezogen. So schrieben wir uns ausschließlich E-Mails – bis zum heutigen Tag eigentlich.
Was nach einer Liebesgeschichte klingt, wie sie es bereits mehrfach in Büchern und auf der Leinwand gegeben hat, ist in Wahrheit doch eher ernüchternd. Der Kontakt hält über viele Jahre, doch der Inhalt der interaktiven Briefe war und ist z.T. eintönig. Zu Beginn ging es noch um meine Hoffnung alles wieder gut zu machen, später dann ausschließlich um ein mögliches Treffen, was nie stattfand. Mit den Jahren wurde der Inhalt immer profaner. Vor allem er wollte von seinem Privatleben möglichst wenig preisgeben. Dass er mittlerweile geheiratet hat, und Vater zweier Kinder geworden ist, bekam ich nach Jahren nur zufällig mit. Mein Wunsch alles wieder gut zu machen, wich dem Gedanken, ich hätte den einzigen Mann, den ich geheiratet hätte, in die Wüste gejagt. Das Ganze war, wie ich denke, eine wichtige Stellschraube bzw. eine Weggabelung in meinem Leben.
Während er heiratete und eine Familie gründete, verbrachte ich zunächst als Betäubung, so manche Nacht mit einem fremden Mann. Ich sprang von Beziehung zu Beziehung, lernte neue Menschen, und vor allem mich selber kennen.
Der Kontakt, wenn es auch manchmal monatelang zum Stillstand meinerseits kam, hielt über die Jahre standhaft – genauso wie das „Hätte ich doch“ in meinem Kopf.
Ab und an schrieben wir uns längere Mails und gaben Details aus unserem Leben und unserer Gedankenwelt preis. Meistens jedoch diskutierten wir über ein mögliches Treffen. Obgleich meine erste Liebe dieses Thema immer wieder aufbrachte, war auch er derjenige, der immer wieder Ausreden fand. Den kleinen Teich, Ort unsere heimlichen Treffen vor fast 20 Jahren, besuchen wir beide nach wie vor. Begegnet sind wir uns dort nie. Gesehen haben wir uns zuletzt 2009, zufällig auf einem Parkplatz nahe meiner Ausbildungsstätte. Die Debatte über ein mögliches Treffen hörte nie auf, doch wo mit Mitte 20 Hoffnung und Herzklopfen hüpften, stehen nun Unglaube und Ironie mit verschränkten Armen. Müsse ich meine Verbindung zu diesem Mann bildlich beschreiben, so wäre sie vergleichbar mit einem Schiff. Ich verpasste das Boarding und sehnte mit jahrelang danach doch irgendwann einsteigen zu können. Später wollte ich dieses Schiff wenigstens einmal wiedersehen. Jetzt nach 15 Jahren bin ich mir jedoch nicht mehr sicher, ob es sich wirklich um ein stattliches Segelschiff, eine Nussschale, oder einen alten Dampfer gehandelt habe. Es ist mir mittlerweile auch egal. Ich will nicht mehr auf einem und demselben Schiff mein Leben verbringen. Ich fahre jetzt Inlineskates.
Nach langer Suche nach mir selbst, führe ich nun ein offenes Leben, was zu mir passt. Ich habe eine kleine Tochter und dich als tollen Partner an meiner Seite.
Seit einigen Tagen herrscht Kontaktverbot. Verabredungen sind nur noch im Freien, mit einem großen Sicherheitsabstand möglich. Und genau zu diesem Zeitpunkt, 10 Jahre nach unserem letzten Treffen, kurz nach Geburt meiner Tochter, möchte der Dampfer sich auf einmal ohne Umschweife mit mir am Hafen treffen. Bei dem piept es nicht, bei dem kräht es! Ich starre entgeistert auf meinen Bildschirm und dann in dein Gesicht. Du sitzt nun schon seit ein paar Wochen mir gegenüber in deinem „Zwangshomeoffice“ und lächelst mir zu. Ich erzähle dir die Geschichte und du ermutigst mich dazu, das Treffen wahrzunehmen. Jetzt könntest du tagsüber noch auf unserer Tochter aufpassen. Ich solle mir einen schönen Vormittag machen und die Zeit nutzen. Auch hilfst du mir das richtige Outfit für den Anlass zu finden.
Und so stehe ich nun in einem beerenfarbenen Etuikleid, schwarzen Schuhen und einer legeren Strickjacke im Stadtpark. Lang hatten er und ich nicht gebraucht um Tag und Uhrzeit auszumachen, nur der Ort variierte. Ich hätte mich tatsächlich lieber am Wasser getroffen. Doch es ist ganz hübsch hier. Nur die vereinzelnden Maskenträger bringen etwas Sonderbares in den Vormittag.
Ich überlege, welch ein Mann mir wohl gleich gegenüberstehen wird. Vielleicht kommt er ja auch gar nicht. Doch dann bin ich sowohl überrascht, erschrocken als auch begeistert zugleich. Man sieht ihm die Anfang 40 an. Seine kurz geschorenen Haare sind grau meliert, genauso wie der Bart den er nun trägt. Die Augen klar und zielstrebig, der Kleidungsstil jedoch sonderbar. Obgleich er mittlerweile Geschäftsführer von Unternehmen XYZ ist, in welches er nach unserem Treffen fährt, trägt er abgewetzte Turnschuhe, eine ähnliche Jeans und Hawaihemd. Was auch sonst? 😉
Wir erkennen uns, schauen uns kurz an und gehen dann ziellos nebeneinander her. Er spricht leise. Meine Schnürstiefel im Sand übertönen fast seine Stimme. Irgendwie wirkt dieser Mann eine Spur zu zynisch, fast schon verbittert. Er erzählt ansatzweise von seinem Leben und betont dabei immer wieder, dass er eigentlich lieber seine Ruhe haben möchte. Menschen nerven ihn, vor allem wenn sie laut sind. Er gebe sich alle Mühe Personen in seiner Nähe Zitat: „wegzugruseln“. Die Beziehung zu seiner Frau sei ok. Jeder mache sein Ding, dennoch käme eine offene Beziehung für ihn nicht infrage. Als er von seinen Kindern erzählt, sehe ich dass er sie liebt, aber auch dass die Entscheidung Kinder zu bekommen, nun ggf. eine andere wäre. Ich erkenne den Mann, seinen Humor und seine Blicke wieder. Von der Person, die er vorgibt zu sein, bin ich allerdings negativ überrascht. Irgendwie kaufe ich ihm den miesepetrigen Einsiedler nicht ganz ab. Dennoch scheint aus dem stattlichen Segelschiff, in der Tat ein ergrauter Dampfer geworden zu sein.
Normalerweise trage ich das Herz auf der Zunge, stelle Fragen die mir in den Kopf schießen, ohne lang nachzudenken. Gerade bin ich von meiner Zurückhaltung überrascht. Ich merke, wie der Inhalt des Gesprächs philosophisch, irgendwie nicht greifbar wird. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er wie nach wie vor wenig von sich preisgibt. Ich könnte erzählen, welch buntes Leben ich nun führe, was mir wichtig ist und welche Menschen ihren Teil dazu beitragen. Doch ich bleibe still. Faszinierend ist dieser Mann nach wie vor, doch stelle ich während unserer gesamten Schritte mir mehrmals die Frage, warum wir uns damals so angezogen haben. Gehen unsere Vorstellungen und Blickrichtungen doch meilenweit auseinander.
Wir kommen auf die Vergangenheit zu sprechen, verlassen dabei die gut geharkten Wege und trampeln über die, mit Hundekot und Maulwurfhügeln übersäte, Wiese. Nun stelle ich die Frage, was uns damals zueinander gezogen hat, laut. Mit klaren Worten erklärt er, dass er jemandem wie mir noch nie begegnet sei und ich ihn von Anfang an fasziniert habe. Teilen hätte er mich allerdings mit niemand anderen können. Ich erkläre ihm, dass zu einer offenen Beziehung mehr gehöre als Sex und frage ihn im selben Atemzug, ob seine Frau von diesem Treffen wisse. Er würde ihr davon erzählen, nur nicht jetzt. Er möchte ungern Öl ins Feuer schütten – ich stutze und fange zaghaft an ihm von meiner Leidenschaft zur Kunst zu erzählen. „Ach die Sache“. Der Tonfall dabei verunsichert mich und so krame ich langsam in meiner Tasche nach meinem Autoschlüssel.
Nach guten zwei Stunden Spaziergang und einer halben Stunde Suche nach meinem Auto, verabschiedet er sich von mir und ich bleibe ratlos zurück.
Bevor ich den Wagen starte, sitze ich noch eine Weile im Auto. Dieses Treffen was über 10 Jahre geplant war, hat mich nun kalt erwischt. Ich hätte so viele Fragen stellen und auch von meinem Leben erzählen können, doch ich tat es nicht. War ich nur nicht gut genug vorbereitet?
Das Treffen beschäftigt mich eine ganze Weile. Vor allem denke ich darüber nach, wie lange ich diesem Mann hinterher getrauert, und mein Leben ganz anders, als ursprünglich gedacht aufgebaut habe. Wo würde ich stehen, hätte ich mich damals anders entschieden? Darf man über so etwas überhaupt nachdenken? Er und ich hätten uns zusammen ggf. wieder ganz anders entwickelt. Dennoch lässt mich der Gedanke nicht los. Du bemerkst das und wir reden lange über das, was mich beschäftigt. Es tut gut, so offen mit einander zu sein. Ich bin mir fast sicher, dass ich bei ihm hätte nie so aus mir rauskommen können.
Ich bin verdammt stolz auf unser offene Konstrukt, ist es auch manchmal gar nicht so einfach. Die 5-6 Jahre Liebeskummer und die Trauer um ein Leben, was eigentlich nie zu mir gepasst hat und welches nicht haben wollte, hätte dennoch nicht sein müssen. Aber so ist es nun mal.
Mit einem Lächeln im Gesicht, betrete ich den Supermarkt. mein Handy klingelt und meine beste Freundin meldet sich. Sie habe ein Problem. Sie sei jetzt nahrungssexuell. Ihr Chef habe im Homeoffice [2]Bestehend aus meiner besten Freundin, ihrem Chef und dessen Mutter. für sie gekocht. Es gab Garnelen mit Ingwerbutter an Humus Püree und Mango-Zwiebel Chutney. Das wäre Foodporn pur gewesen. Sie könne nicht aufhören zu essen. Dieses Problem habe sie auch bei dem Dönermann um die Ecke. Dieser sehe ganz furchtbar aus, aber wie er dieses Fleisch schneidet… Ich erzähle ihr von meiner Begegnung mit dem Hawaihemd. „Kann er kochen?“ „Nein, so wie ich ihn einschätze, gehört kochen nicht zu seiner Leidenschaft“. „Na dann wirst du dieses Treffen auch schnell wieder vergessen.